Thema

Bewegung und Sport im Horizont von Jugend- und schulpädagogischer Forschung
Themen der Jugend- wie der schulpädagogischen Forschung gehören seit längerem zum etablierten Spektrum der wissenschaftlichen Sportpädagogik und sind wiederholt auf ihren Jahrestagungen verhandelt worden. Allerdings wurden die theoretischen Konzeptualisierungen, Argumentationsfiguren und empirischen Befunde in der Regel nur aus der je spezifischen Perspektive diskutiert und bislang kaum systematisch aufeinander bezogen. Hierin spiegelt sich in der Sportpädagogik nicht zuletzt das unverbundene Nebeneinander von Jugend- und Schulforschung wider, das Helsper schon am Ende der 1980er Jahre in einer allgemeineren Hinsicht auf die Erziehungswissenschaft konstatierte. Das Verhältnis von Jugend und Schule erscheint uns daher nach wie vor sowohl in schulsporttheoretischen Konzepten und Forschungsansätzen als auch in den subkultur- und stilorientierten Studien der Jugendsportforschung unterreflektiert zu sein. Diese Befundlage greift die 32. Jahrestagung der dvs-Sektion Sportpädagogik auf, weil einerseits schon die theoretischen Konzepte von Adoleszenz und Schule, von Jugendsport und Schulsport genuin ebenso miteinander verwoben sind wie die gesellschaftliche Lagerung der Adoleszenz, etwa in den Figuren des Moratoriums oder der Entwicklungsaufgaben, mit der Rolle des Schulsports, wie sie sich z. B. in den didaktischen Topoi der "Lebensnähe" und "Schülerorientierung" andeutet.
Neben dieser grundsätzlichen Verquickung sind markante gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahre aktueller Anlass, diese beiden Forschungslinien intensiver aufeinander zu beziehen: (1.) Im dem Maße, wie die empirische, auf die Schule fokussierte, Bildungsforschung an Bedeutung gewonnen hat, scheint der Stellenwert der Jugendforschung etwa gegenüber dem der Kindheitsforschung gesunken zu sein. Während (2.) im Gefolge großer Bildungsstudien das Interesse an der Analyse von Bildungskarrieren und -prozessen von Jugendlichen in Schule, Beruf und außerschulischen Lernwelten sowie an deren Übergängen gewachsen ist, hat die sportbezogene Jugend- und schulpädagogische Forschung diese Entwicklung – abseits der Frage nach Bewegung und Sport in der Ganztagsschule – noch nicht erreicht. Wenn man (3.) die Verkettung von Jugend und Schule in sich modernisierenden Gesellschaften in Anlehnung an Helsper als Ambivalenzverhältnis versteht, liegt die Frage nahe, welche Rolle Bewegung und Sport von Jugendlichen vor dem Hintergrund von einerseits Individualisierungsoptionen, gewachsenen Orientierungs- und Entscheidungszwängen und andererseits Beschleunigungs-, Standardisierungs- und Rationalisierungsprozessen (z.B. im Kontext von dualen Karrieren im Nachwuchsleistungssport) spielen. Und (4.) schließlich wirft der seit einigen Jahren zu beobachtende "Wissensimport" von sportwissenschaftlichen Diagnosen und Befunden zum vermeintlich defizitären Bewegungsstatus von Heranwachsenden und deren Transformationen in eine naturwissenschaftliche, testbasierte Leistungsdiagnostik und Interventionsprogrammatik viel mehr schulpädagogische Fragen auf als er beantwortet. Wir wollen mit dieser Tagung daher erneut an Fragen curricularer Innovationen und der Notwendigkeit fachkultureller Transformationen des Schulsports anknüpfen, die sich aus Anschlüssen an die Jugendforschung ergeben.
Augenfällig sind in diesen Zusammenhängen z. B. komplexe Fragen einer Digitalisierung der Gesellschaft und ihres Sports. Entwicklungen im E-Sport, in Exergames oder der Verbreitung des Self-Tracking sind einige Beispiele, wie gesellschaftliche Thematisierungspraktiken der Digitalisierung gegenwärtig zu einer zentralen Herausforderung für die Sportpädagogik avancieren. Sowohl für ein Schulfach, das sich nicht weiterhin als gesellschaftsloser Ort stilisieren kann, als auch für die Frage, wie Jugend heute überhaupt noch möglich ist, wie Aufwachsen im Horizont von Bewegung und Sport gegenwärtig gelingen kann, ließe sich die Digitalisierung als Kristallisationspunkt ausmachen.
Für die Hauptvorträge haben bereits zugesagt: Prof. Dr. Jutta Ecarius (Universität zu Köln), Prof. Dr. Rolf-Torsten Kramer (Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Ludwig Stecher (Universität Gießen) und Prof. Dr. Jörg Thiele (Universität Dortmund).